Europa ist auf vier Hügeln errichtet worden: auf dem Berg Sinai, auf Golgatha, auf der Akropolis in Athen und auf dem Kapitol in Rom. In anderen Worten – die Europäische Union ist eine Wertegemeinschaft.
Allein aus diesem Selbstwertgefühl heraus kann sie es sich nicht erlauben, die Eskapaden des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko gegenüber dem eigenen Volk durchgehen zu lassen. Zu lange hat dieser Tyrann mit dem Pokerface die Menschen seines Landes wie einen Haufen lächelnder Sklaven behandelt, die alle vier Jahre brav ihr Kreuz hinter Lukaschenkos Namen auf dem Wahlzettel setzen, um dann weitere vier Jahre das Kreuz bereitwillig zu tragen. Insofern ist es richtig und angemessen, dass alle 27 EU-Mitgliedstaaten Lukaschenkos erschummeltes Wahlergebnis als Betrug werten.
Doch war das alles? Sollte es damit getan sein? Die EU ist zwar eine Wertegemeinschaft, aber sie ist nur sehr begrenzt in der Lage, strategisch zu denken – um es freundlich auszudrücken. Allein der bisherige Umgang mit Weißrussland, das ewige Hin und Her von Sanktionen, die mal erlassen und dann wieder aufgehoben werden, ohne dass sich Lukaschenkos Regime geändert hätte, weisen auf diese Schwäche hin. Selbst jetzt gibt es kaum einen Hinweis darauf, dass die Europäer in der Lage sind, eine strategische Gesamtschau zu halten.
Sie sieht wie folgt aus: Der Schlüssel für Weißrusslands Freiheit liegt nicht in Minsk. Er liegt in Moskau. Der Herr im Kreml fürchtet die weißrussische Demokratiebewegung aus einem innenpolitischen und einem geostrategischen Grund.
Wladimir Putin wittert die Gefahr, dass ein Erfolg der weißrussischen Opposition die russische Bürgerrechtsbewegung stärken würde. Geostrategisch graut ihm davor, dass ein demokratisches Weißrussland der Ukraine folgen und sich aus dem russischen Einfluss verabschieden würde. Die innerrussische Angst kann die EU Putin nicht nehmen, die geostrategische schon.
Es ist an der Zeit, dass Europa seinen „Außenminister“ Josep Borrell oder einen Sondergesandten nach Moskau schickt. Dieser sollte im Gespräch mit dem Kreml der russischen Regierung versichern, dass die Europäische Union den geostrategischen Interessenraum Moskaus anerkennt und sie ein demokratisches Weißrussland nicht ins westliche Bündnisgeflecht aufnehmen würde. Vielmehr sollte einem freien und demokratischen Weißrussland der Status zuerkannt werden, den Finnland im Kalten Krieg besaß: frei im Inneren, gebunden aber an eine außenpolitische Neutralität.
August 20, 2020 at 01:54AM
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Weißrussland: Der Schlüssel zur Freiheit liegt in Moskau - DIE WELT
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Schlüssel
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